Es geht weiter, 2014–2016
»Böse Menschen würden vielleicht behaupten, er sei am Ende oder zumindest kurz davor. Aber das stimmt nicht. Auf keinen Fall. Herr Huber, ein kleiner, schlanker Mann mit Glatze, widerspricht da ziemlich vehement. Es ist, wie immer bei ihm, eine Frage der Perspektive. Blickt man nämlich erst mal aus dem richtigen Winkel auf dieses Leben, wird es plötzlich das Gegenteil von dem, für das man es ursprünglich einmal hielt. Herr Huber ist auf einmal doch so etwas wie ein erfolgreicher Typ. Ein Hallodri und Frauenschwarm, der wilde Jetset-Jahre in Asien, USA, Südamerika und auf den Kanaren verbracht hat. Ein Mensch, der in einem bayerischen Dorf als Sohn eines Schneiders aufwuchs, eine Lehre als Dreher machte, geniale Ideen und Businesspläne in Serie produzierte und völlig zu Recht im Geld zu schwimmen begann. Im Gegensatz zu all den Langweilern und Kleinkrämern in seiner Wahlheimat Hannover hat er immerhin die ganz, ganz großen Abenteuer erlebt.
Das Blöde ist nur, dass man es eben auch anders sehen kann. Es gibt durchaus alternative Fakten, was Herrn Huber anbelangt. Die groben Rahmendaten der letzten Jahrzehnte in seinem Leben seien an dieser Stelle kurz erwähnt. Viermal Gefängnis, insgesamt zehn Jahre abgesessen, vier Ehen zum Scheitern gebracht, drei Kinder gezeugt, die er so gut wie überhaupt nicht kennt. Herr Huber ist mittlerweile 70 Jahre alt. Er bekommt im Monat eine staatliche Grundsicherung von 400 Euro und hat zirka eine Million Euro Schulden. Andere würden das eine Katastrophe nennen und ihr Leben verfluchen, aber Herr Huber wäre nicht Herr Huber, wenn es ihm nicht gelänge, auch diesen Schlamassel positiv zu sehen. Strahlend erklärt er: „Ich habe so wahnsinnig viel Glück gehabt. (...)«
DUMMY #54, 2017
Text: Fabian Dietrich
Herr Huber ist 70 Jahre alt. Er saß von 2011 – 2015 seine vierte und längste Haftstrafe ab. Nach viereinhalb Jahren sollte er vorzeitig entlassen werden. Grund für die Haft:
Urkundenfälschung im großen Stil.
JVA Hannover
Beim ersten Treffen begegnet mir ein gepflegter älterer Mann mit kurz rasiertem Haar, in dunkelblauer, sichtbar oft getragener Gefängniskleidung, der mich überaus freundlich willkommen heißt.
63 Zellen sah Herr Huber von innen – allein während der letzten Haft.
Seine Zelle war völlig kahl. Der einzig sichtbare persönliche Gegenstand war sein brauner Ledermantel den er trug als er verhaftet wurde.
Herr Huber sagte mir am Tag der Entlassung, dass er im Leben nie so glücklich war wie jetzt. Endlich wisse er wo die Reise hingehen soll. Ein letztes Mal rasiert er sich in seinem 1 qm kleinen Bad.
Zum Abschied trägt er Hemd und Pullunder. Ein Mitinsasse bricht plötzlich in Tränen aus und nimmt ihn in den Arm. Es entstand eine Freundschaft während der gemeinsamen Haftzeit.
Herr Huber erhält die wenigen persönlichen Gegenstände zurück, die er vor Haftantritt hat abgeben müssen. Unter anderem auch sein altes Handy.
Auf dem Weg zum Ausgang der JVA.
An diesem Tag wartet niemand auf ihn vor den Toren der JVA. Im ersten Moment in Freiheit scheint er mir noch isolierter und einsamer, als hinter den dicken Gefängnismauern. Herr Huber schaltet sein Handy ein um sich ein Taxi zu rufen.
Was Herrn Huber erwartet ist eine leerstehende Wohnung, die er sich vor der Entlassung hat anmieten dürfen.
Im Fahrstuhl des Sozialamts sind wir kurz allein. Herr Huber wirft einen Blick auf die Zahlen. In seinem Alter fair bezahlte Arbeit zu finden ist nicht leicht. Von seinem Lebenslauf ganz zu schweigen. Eine Rente bekommt er nicht.
Herr Huber lässt sich trotz aller Umstände nicht den Mut nehmen. Mit der für ihn typischen Hartnäckigkeit sucht er sich seinen Weg zurück in den Alltag.
Erst nach und nach kann er sich Möbel leisten. Es ist nicht das erste Mal, dass er ohne jeden Cent ein neues Leben beginnt. Sein Optimismus ist ungebrochen.
Um auf andere Gedanken zu kommen unternimmt Herr Huber lange Spaziergänge an Orte die er schon früher sehr mochte.
Mindestens drei mal die Woche lässt er sich ein Bad ein und taucht ab. Eines der kleinen Dinge, die er während der Haft am meisten vermisste.
»Es geht weiter.« 2014–2016
" Böse Menschen würden vielleicht behaupten, er sei am Ende oder zumindest kurz davor. Aber das stimmt nicht. Auf keinen Fall. Herr Huber, ein kleiner, schlanker Mann mit Glatze, widerspricht da ziemlich vehement. Es ist, wie immer bei ihm, eine Frage der Perspektive. Blickt man nämlich erst mal aus dem richtigen Winkel auf dieses Leben, wird es plötzlich das Gegenteil von dem, für das man es ursprünglich einmal hielt. Herr Huber ist auf einmal doch so etwas wie ein erfolgreicher Typ. Ein Hallodri und Frauenschwarm, der wilde Jetset-Jahre in Asien, USA, Südamerika und auf den Kanaren verbracht hat. Ein Mensch, der in einem bayerischen Dorf als Sohn eines Schneiders aufwuchs, eine Lehre als Dreher machte, geniale Ideen und Businesspläne in Serie produzierte und völlig zu Recht im Geld zu schwimmen begann. Im Gegensatz zu all den Langweilern und Kleinkrämern in seiner Wahlheimat Hannover hat er immerhin die ganz, ganz großen Abenteuer erlebt.
Das Blöde ist nur, dass man es eben auch anders sehen kann. Es gibt durchaus alternative Fakten, was Herrn Huber anbelangt. Die groben Rahmendaten der letzten Jahrzehnte in seinem Leben seien an dieser Stelle kurz erwähnt. Viermal Gefängnis, insgesamt zehn Jahre abgesessen, vier Ehen zum Scheitern gebracht, drei Kinder gezeugt, die er so gut wie überhaupt nicht kennt. Herr Huber ist mittlerweile 70 Jahre alt. Er bekommt im Monat eine staatliche Grundsicherung von 400 Euro und hat zirka eine Million Euro Schulden. Andere würden das eine Katastrophe nennen und ihr Leben verfluchen, aber Herr Huber wäre nicht Herr Huber, wenn es ihm nicht gelänge, auch diesen Schlamassel positiv zu sehen. Strahlend erklärt er: „Ich habe so wahnsinnig viel Glück gehabt. (...)“
→ Fabian Dietrich (Text), DUMMY #54